Fragen und Antworten zur Arbeit mit rechtsradikalen Jugendlichen

Eine junge Frau aus Ostsachsen sucht Antworten auf ihre Fragen zur Arbeit des Vereins im Umgang mit rechtradikalen Jugendlichen im Rahmen des Aussteigerprojektes.

Schmölln- Putzkau, 24.11.2009

Hallo,

ich empfehle zu der Problematik ein Buch von Nick Gregor, einem Aussteiger zu dem ich kurzzeitig auch Kontakt hatte.

Nun zu deinen Fragen :

1.) Die Entscheidung aus der rechten Szene auszusteigen ist ein Prozess. Gibt es bestimmte  Anlässe für diese Entscheidung, die wiederholt bei Aussteigern auftreten?

Wir sagen, es muß in der Regel ein erheblicher, „Leidensdruck“ auf den Aussteigern lasten bevor sie sich entscheiden auszusteigen. Das sind z.B. Verfolgungsdruck der Strafverfolgungsbehörden, drohende Gefängnisstrafe, Konflikte mit den eigenen Kameraden, Konflkte mit Freund/in, Familie, Eltern, Arbeits- und Mittellosigkeit, die Erkenntnis in eine schwere Lebenskrise geraten zu sein, Schulden, Alkoholismus bis Obdachlosigkeit usw.

Recht häufig tritt als Motiv für den Ausstieg die Entäuschung über die sogenannte „Kameraderie“ in meinem Projekt auf. In der Auseinandersetzungen mit dem „Feind“ versagt dann gelegentlich dieser „Kameradenschutz“ kläglich.

2.) Was sind die ersten Schritte, die Sie den Aussteigern raten um in ein geordnetes Leben zurückkehren zu können? Ist es beispielsweise ratsam sich woanders eine neue Existenz aufzubauen, weg von der alten Kameradschaft und den alten „Freunden“?

Im Erstgespräch verschaffe ich mir einen Überblick über die Problemlage. Die ist bei den Klienten sehr unterschiedlich. Aber wichtig sind immer die Thematik „Wohnung“, anstehende Gerichtsverfahren, ganz besonders „Arbeit“ und der Abbau des häufig auftretenden „Alkoholismus“. Natürlich ist der Verzug bei einigen meiner Klienten ein Thema, aber nicht die Regel, wobei besonders ehemalige Mitglieder der politischen Szene wegen ihrer exponierten Stellung das Gebiet, meist sogar das Bundesland wechseln müssen.

Einige Aussteiger bleiben in ihren Wohnraum, teilweise mitten in szeneaktiven Gebiet und stehen die Anfeindungen und Behelligungen durch. Sie wollen „Pfahl im Fleische der Bewegung sein“! Dazu gehört aber eine gehörige Portion Mut und mentale Stärke, hat aber eine große moralische Wirkung. Nicht alle laufen weg.

2.1 Ist es oft so, dass Aussteiger ihre Kameraden versuchen wollen vom Ausstieg zu überzeugen?

Es gibt die verschiedensten Aussteigertypen. Einige steigen ruhig aus, andere ziemlich spektakulär und die einen sind multiplikante Typen, andere eher Mitläufer. Bei den Führungstypen kann es durchaus sein, das sich nach deren Ausstieg eine ganze Kameradschaft allmählich auflöst. Das ist jedoch die Ausnahme!

Der Ausstieg ist nach wie vor eine sehr persönliche, einsame Entscheidung, mit der die Klienten auch nicht öffentlich herumposen.

Trotzdem vermitteln einige Aussteiger Klienten in das Projekt. Das ist ein durchaus gewollter Effekt der der rechtsradikalen Szene sehr zu schaffen macht.

3.) Wie ist es Ihnen möglich, Aussteiger vor der Rache ihrer ehemaligen Kameraden zu schützen? Oder sind Sie selbst schon einmal von der Szene bedroht worden?

Aussteiger zu schützen ist natürlich wichtiges Anliegen im Projekt. Wir können je nach Brisanz Hilfe über den Staatsschutz, Soko Rex, Verfassungsschutz bis Zeugenschutzprogramm organisieren, aber ich sage immer meinen Klienten einen sicheren Schutz gibt es nicht. Bislang haben wir die richtigen Entscheidungen für die Sicherheit der Aussteiger getroffen.

Aber Behelligungen und verbale Angriffe kommen nach wie vor häufig vor.

Ich werde von der Szene wenig angegriffen. Das liegt vielleicht an meinem Grundprinzipien:

a) Gehe korrekt und achtungsvoll mit Andersdenkenden, allerdings ohne dich anzubiedern, um.

b) Ich akzeptiere rechte, konservative Werteeinstellungen, wenn sie mit dem GG vereinbar sind.

c) Aussteiger von mir werden nur gelegentlich in den Medien vorgestellt. Das Projekt ist nicht für die Propagandaarbeit zu mißbrauchen.

d) Ich meide szenebekannte Räume und vermeide dadurch Konfrontationen.

Trotzdem stehen gelegentlich Angriffe gegen mich und das Projekt im Internet.Denen ist meine Arbeitsweise und die damit verbundenen Erfolge irgendwie unheimlich.

4.) Haben Sie es schon oft erlebt, dass Aussteiger es sich anders überlegt haben, dass sie wieder Mitglied der rechten Szene wurden?

Der Ausstieg ist so einschneidend und mit dem Ehrenkodex der Szene nicht vereinbar, dass ein Wiedereinstieg schon aus diesen Gründen schwer möglich ist.

Allerdings hat die Szene mittlerweile die Bedeutung und den moralischen Wert dieser Aprojekte erkannt und steuert gegen. Es gibt eine verbesserte Arbeit mit den Anhängern und in einigen Räumen konnten vereinzelt auch Aussteiger zurückgewonnen werden.

5.) Oft stehen Aussteiger beruflich vor dem Nichts, besonders wenn sie vorbestraft sind ist es schwierig für sie sich eine neue Existenz aufzubauen. Was gibt es für Möglichkeiten Aussteiger finanziell und beruflich zu unterstützen?

Aussteigern wird finanziell nicht geholfen. Es gibt kein Geld beim Ausstieg aus der Szene. Das behaupten übrigens Rechtsradikale immer wieder.

Dagegen können wir helfen Aussteiger in Tätigkeit zu bringen. Dazu haben wir über die Behörden die verschiedensten Möglichkeiten. Oft müssen meine Klienten ersteinmal wieder auf die Schulbank um Abschlüsse nachzuholen.

Ich hoffe dir einwenig geholfen zu haben und wünsche dir alles Gute.

Gruß Michael Ankele