Die Demokratie der Demokratie AG Ostsachsen
Raus aus der Neonazi-Szene – aber wie?
Im NPD-Kernland Sachsen ist ein Streit über die Arbeit mit rechtsextremen Aussteigern entbrannt. Die einen kämpfen für die „Resozialisierung“ früherer Neonazis. „Einmal Nazi, immer Nazi“ heißt es bei den anderen.
Von THOMAS TRAPPE faz.net
Einmal Neonazi, immer Neonazi? Oder ist ein Aussteigen aus der Szene möglich?
Als Michael Ankele vor kurzem beschreiben sollte, was seine Klienten in ihm sehen, da neigte er den Kopf zur Seite, lächelte und sagte: „den Führer“. Es war nur ein halber Scherz. Seit sechs Jahren arbeitet Ankele als freier Sozialarbeiter in der sächsischen Lausitz daran, Neonazi-Teenager aus der Szene „herauszuführen“. Dass er inzwischen auf 90 erfolgreiche Fälle verweisen könne, habe aber wenig mit „Umerziehung“ zu tun, sagt Ankele. Ihm geht es zunächst darum, den Leuten klarzumachen, dass die Szene keine Familie, sondern eine Sackgasse ist, dass Ausbildung besser ist als Ausrasten. „Alles Weitere kommt dann später“, sagt Ankele.
Michael Ankele, ein 52 Jahre alter Mann mit gemütlichem Bauch und weicher Stimme, ist Pragmatiker, vor allem aber Einzelkämpfer. Sein Einsatzgebiet ist die Region Bautzen. Über Staatsanwälte, Polizisten und Eltern findet er Kontakt, auch die einschlägigen Szenetreffs scheut Ankele nicht, um mit ausstiegswilligen Neonazis zu sprechen. Es folgt dann meist eine mehrjährige Intensivbetreuung bei der Suche nach einer Ausbildung, nach neuen Freunden und neuem Selbstbewusstsein. In harten Fällen wird eine Wohnung in einem sächsischen Dorf bereitgestellt, um den Aussteiger vor wütenden ehemaligen Kameraden zu schützen.
Doch dieser Tage hat Ankele andere Sorgen, er muss sich gegen Vorwürfe wehren. Ein Bündnis von sächsischen Anti-Rechts-Initiativen macht Front gegen seine Arbeit. Diese sei „distanzlos“, es fehle die „sozialpädagogische Fachlichkeit“, so lauten nur zwei Vorwürfe.
Aufgesetzt ist das Schreiben von der „Demokratie AG Ostsachsen“, zu deren 16 Mitgliedern unter anderem der DGB Ostsachsen, die „Gesellschaft Bürger und Polizei“ und die Regionale Beratungsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Dresden gehören. Das Bündnis fasst damit Vereine zusammen, die in Ostsachsen maßgeblich an der Aufklärung über Rechtsextremismus beteiligt sind. Mittlerweile macht das Schreiben die Runde im ganzen Freistaat. Auch beim sächsischen Innenministerium liegt es vor. Allen Adressaten empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft eine „kritische Auseinandersetzung“ mit Ankeles Arbeit.
Kritiker: „Rechtsradikalismus als Event“ „Fachlich problematisch“, heißt es, sei „Ankeles geringe Bereitschaft zum Erfahrungsaustausch, zu Transparenz, zur Teamarbeit und insbesondere zur Selbstreflexion“. Auch eine „fehlende Mitarbeit in entsprechenden politischen Netzwerken“ wird moniert. Besonders kritisiert wird aber, dass Ankele zusammen mit Aussteigern Vorträge und Seminare an Schulen hält. Ankele verdient damit sein Geld, einen kleinen Teil davon kriegen die Referenten. „Pseudo-Aussteiger“ wären das, finden die Kritiker, die des Geldes willen mitmachten und „Rechtsradikalismus als Event vermitteln“.
Ankele kennt die Vorwürfe, sie begleiten ihn, seit er als Aussteigerbetreuer in Sachsen arbeitet. „Aber das ist sicher eine neue Dimension“, sagt er. Inzwischen erhalte er Anrufe von verunsicherten Lehrern und Projektpartnern. „Gerade jetzt, da der Druck auf die Szene wächst, ist diese Geschichte extrem kontraproduktiv.“ Inzwischen beschäftigt sich der Anwalt von Ankeles Förderverein Projekt 21/II – ein Zusammenschluss unter anderen von Eltern, Juristen und Polizeivertretern – mit dem Schreiben, es wird Unterlassung gefordert. Auch die Gegenseite, also die „Demokratie AG“, hat einen Juristen eingeschaltet. Aus diesem Grund will sich dort und bei den einzelnen Organisationen auch niemand über den Streit öffentlich äußern.
Bernd Wagner allerdings möchte es. Wagner ist Chef von „Exit“ in Berlin, einem Verein, der bundesweit Neonazis beim Ausstieg aus der Szene hilft. Wagner kennt Ankeles Arbeit sehr gut, die Arbeitsweisen der beiden ähneln sich. „Einige dieser Anti-Rechts-Initiativen sind der Meinung, dass ein Ausstieg nur ein Ausstieg ist, wenn der Neonazi danach zum kompletten Antifaschisten umgekrempelt ist“, sagt Wagner. „Das ist grundfalsch. Wichtig ist, dass die Leute in der Szene nicht mehr mitspielen. Denn dann werden sie nicht mehr straffällig. Ganz einfach.“ Die Vorwürfe beruhten nicht auf einer „belegbaren Kritik“, sondern auf „purer Ideologie“. Und an dieser hätten „Ex-Nazis“ nun gar keinen Bedarf.
Der Umgang mit Aussteigern im NPD- und NSU-Kernland Sachsen ist eine Grundsatzfrage. Ankele und Wagner beantworten sie anders als ihre Kritiker, die sich nicht nur bei der „Demokratie AG“ finden. Ein Beispiel von vielen: Ein Jahr ist es her, dass Ankele kurz davor stand, die Arbeit mit einem 18 Jahre alten Aussteiger erfolgreich zu beenden. Der früher gewalttätige Teenager hatte die Szene hinter sich gelassen und eine Ausbildung begonnen, seine Freundin war schwanger. Vor allem linke Initiativen, so Ankele, hätten damals eine lange Haftstrafe für den Achtzehnjährigen unisono mit lokalen Rechtsextremisten gefordert, die den „Verräter“ ebenfalls im Gefängnis sehen wollten. Heute sitzt der junge Mann die Strafe mit täglichem Freigang ab.
Harsche Kritik an Aussteigerprogramm „Einmal Nazi, immer Nazi.“ Exit-Chef Wagner sagt, dass dieses Denkmuster es der „Demokratie AG“ unmöglich mache, Ankeles Arbeitsweise zu akzeptieren. Dort wende man sich mit Präventionsangeboten vor allem an Menschen, die sowieso schon demokratisch gefestigt seien. Von Neonazis halte man sich fern, sie seien ja das Feindbild. Wer Aussteigern helfen wolle, müsse aber über diesen Schatten springen können. „Stattdessen wird moralisiert.“
Der Sprecher des sächsischen Innenministeriums kennt das Kritikschreiben, will es aber nicht kommentieren. Dass die Verantwortlichen in Dresden allerdings keine Freunde von Ankeles Arbeit sind, lässt sich vermuten. So startete das Ministerium im Oktober ein eigenes Aussteigerprogramm, zuvor wurde per Ausschreibung ein erfahrener Projektpartner gesucht. Auch Ankele bewarb sich – und erhielt bis heute keine Antwort. Inzwischen habe das Innenministerium einen Partner gefunden, hieß es auf Nachfrage.
Die Internetseite des offiziellen Aussteigerprogramms fordert Neonazis auf, eine Handynummer anzurufen, wenn sie aus der Szene rauswollen, im Impressum wird das Innenministerium angegeben. Bisher habe sich noch kein Aussteiger gemeldet, sagt der Sprecher der Website. Ankele wundert das nicht. Auch ihn habe noch kein Ausstiegswilliger auf dem Handy kontaktiert. „Deshalb gehe ich ja zu denen.“
Für Ankele geht es um die Zukunft seines Projektes und damit auch um die Aussteigerarbeit in ganz Sachsen. Staatliche Förderung hat er zuletzt vor drei Jahren bekommen, seitdem hält er sich mit Honoraren aus Vorträgen, Spenden und Vereinsbeiträgen über Wasser. Neue Förderer zu finden sei durch die Kritik unwahrscheinlicher geworden. „Irgendwie wird es schon weitergehen, auch wenn ich noch nicht weiß, wie“, sagt er. Bernd Wagner im fernen Berlin schaudert es derweil, schaut er nach Sachsen: „Die Einzigen, die was von dieser Aktion haben, sind die Nazis.“
Quelle: faz.net