Mitteldeutsche Zeitung | Aussteiger äußern sich zu Rechtsradikalismus

Aussteiger äußern sich zu Rechtsradikalismus | Mitteldeutsche Zeitung

VON PETRA KORN,

Richard ist 16, als er mit der rechten Szene in Kontakt kommt: Studenten, die sehr nett gewesen seien und ihm viel zu lesen gegeben hätten. “Ich hab’ das alles gefressen und gefressen”, erzählt der junge Mann, der immer weiter in die Szene hineingeriet. “Je mehr Leute du kennenlernst, desto mehr erzählen die dir. Das ist wie ein riesengroßer Wasserfall, der auf sich einwirkt.” Irgendwann “hatten die gewonnen”. Richard geht mit zu Demonstrationen. Er habe sich als Teil einer Gemeinschaft gefühlt. Und doch “zwiegespalten”: Menschen, die nicht “rechts” seien, “wollen nichts mit dir zu tun haben”, Kino oder Disko seien ebenso verboten wie Bananen oder McDonalds. Durch den Schulbesuch kommt Richard, der unbedingt sein Abitur ablegen will, nach und nach mit einem ganz anderen Umfeld in Kontakt: Das, so erzählt er, ist multikulturell. Verbote, Verzicht – das will er irgendwann nicht mehr. “Ich wollte das alles nur noch hinter mir lassen. Ich wollte meine Freundin, Familie, Bildung. Da hält dich Nationalsozialismus nur auf.” Richard steigt aus.

Der heute 18-Jährige arbeitet jetzt, wie der 53-jährige Jochen, in einem Projekt mit, das Michael Ankele betreut. Der Sozialpädagoge begleitet straffällig gewordene Jugendliche und Erwachsene, die aus der rechtsradikalen Szene aussteigen wollen – aktuell 82. Das Projekt beinhaltet aber auch Angebote für Schulen, um aufzuklären und zu verhindern, dass extremistisches Gedankengut weitere Anhänger findet.

 

 

Über dieses “Projekt 21 II” wurde jetzt ein Workshop für die Schüler der zehnten Klassen am Wolterstorff-Gymnasium Ballenstedt gestaltet. In der 10. Klasse werden in Geschichte und Sozialkunde die Themen Nationalsozialismus und Extremismus behandelt, sagt Ethik-Lehrerin Doreen Wölfer. So ist der Workshop zum einen ein fächerübergreifendes Projekt für die Schüler für die Fachbereiche Geschichte, Sozialkunde und Ethik. Zum anderen trage das Gymnasium den Titel “Schule ohne Rassismus” “Wir haben eine Verantwortung, für diesen Titel aktiv zu arbeiten”, so Doreen Wölfer. “Ein bisschen wissender, ein bisschen sensibler” wollen Michael Ankele, Richard und Jochen die Jugendlichen machen, erklärt der Sozialpädagoge den Schülern. Gemeinsam erarbeiten diese mit Ankele anhand eines Aussteigerberichtes, mit welchen Problemen junge Leute, die in die rechtsradikale Szene geraten, häufig konfrontiert sind. Und gemeinsam arbeiten sie heraus, wie schwierig es ist, diese Probleme bei einem Ausstieg zu lösen. Während Ankele dies sehr plastisch und emotional mit Erfahrungen und Erlebnissen aus seiner sozialpädagogischen Arbeit untersetzt, berichten Richard und Jochen , wie es bei ihnen war mit Arbeits- und Obdachlosigkeit, mit Strafanzeigen, Schulden, Aggressivität oder Alkohol.

Rege und interessiert nutzen die Schüler die Möglichkeit, direkt mit den beiden Aussteigern ins Gespräch zu kommen. Welche Beweggründe es heute gibt, sich der rechtsradikalen Szene anzuschließen, möchte einer der Zehntklässler wissen. “Das ist nach wie vor der klassische Fall”, sagt Jochen. “Man kommt mit seiner Umwelt nicht klar, mit sich selbst nicht klar, und dann kommt irgend so eine Nase anmarschiert und sagt: Ich kann dir helfen.” So war es auch bei Jochen: Seine Mutter war gestorben, er selbst langzeitarbeitslos und in einer psychologischen Krise, als er mit der rechten Szene in Kontakt kam. “Ich war auch ein williges Opfer”, sagt er heute.

“Ich hätte das gar nicht so lebendig und anschaulich erwartet”. ist Mareike Manthey von dem Workshop “positiv überrascht. Das ist sehr schülernah.” Auch sie selbst, die sich als Vorsitzende des Schülerteams “Schule ohne Rassismus” sehr viel mit dem Thema befasse, habe noch neue Informationen gewinnen können, sagt die Zwölftklässlerin. Sie ist als Vorsitzende – wie weitere Mitglieder des Schüler-Teams – an der Ausgestaltung der Arbeit für den Titel “Schule ohne Rassismus” beteiligt und wählt dabei auch, gemeinsam mit Doreen Wölfer, Projekte aus.