Rechte Gespenster in Anmarsch!

Freitag, 13. Mai 2011
(Sächsische Zeitung)

Rechte Gespenster im Anmarsch?

Von Nicole Preuß

Bei Aufmärschen wie in Bautzen arbeiten Rechtsextreme aus Sachsen und Brandenburg eng zusammen. Sozialarbeiter befürchten eine Verlagerung der Szene in die Oberlausitz.


Es ist eine gespenstische Szene – Hunderte Gestalten in dunkler Kleidung marschieren durch die Bautzener Innenstadt. Die Demonstranten tragen weiße Masken, sie halten Fackeln in die Höhe. Das flackerden Licht fällt auf Schaufenster und Geschäfte, die jeder Bautzener aus dem Alltag kennt. Es ist die Nacht zum 1. Mai.

Was die jungen Männer rufen kann man nicht verstehen. Denn das Video, aus dem diese Bilder stammen, ist mit aufpeitschender Musik unterlegt. Verbreitet wird der Film von einer Gruppierung namens Spreelichter, die der Verfassungschutz zur Neonaziszene in Südbrandenburg zählt. Tausendfach wurde er in den vergangenen Tagen im Internet aufgerufen. Viele Bautzener Fragen sich seither, warum ausgerechnet ihre Stadt zum Schauplatz des Aufmarsches wurde und welche Rolle Bautzener Neonazis bei der Aktion spielten.

Warum kamen die Neonazis gerade nach Bautzen?

Fest steht, dass auch Bautzener Neonazis beim Fackelumzug dabei waren. Das hat die Polizei bei ihren Kontrollen nach der Demonstration festgestellt. Die einheimischen Rechten legten vermutlich die Route fest und bestimmten, wo Kameras stehen. Die Verbindungen zwischen sächsischen und brandenburgischen Rechtsextremisten bestehen allerdings schon seit längerem. Laut Verfassungsschutz organisierten Neonazis aus beiden Ländern zum Beispiel vor fast genau einem Jahr, am 1. Mai, einen Umzug in Hoyerswerda. Laut Verfassungsschutz gibt es enge Verbindungen zwischen sächsischen und brandenburgischen Rechtsextremisten.

Vor einem Jahr, am 1. Mai 2010, zogen zum Beispiel Neonazis aus beiden Ländern gemeinsam durch Hoyerswerda. Dass Bautzen aber inzwischen ein attraktives Ziel für Neonazis geworden ist, können auch die Sozialarbeiter bestätigen, die sich tagtäglich mit Rechtsextremismus in Bautzen beschäftigen.Sozialarbeiter sind deshalb besorgt. Ihrer Beobachtung nach gibt es in Bautzen und Umgebung immer mehr solcher Aktionen. „Wir befürchten, dass es eine Verlagerung der Neonaziszene vom Osterzgebirge um Pirna nach Ostsachsen gibt“, sagt Oliver Schneider vom Netzwerk für Kinder- und Jugendarbeit. Das Netzwerk ist Mitglied im Trägerverbunt, in dem sich Initiativen und Vereine im Landkreis gegen rechts engagieren. „Das ist der Balloneffekt. Wenn es irgendwo gelingt, die Luft rauszulassen, zischt sie woanders wieder rein“, sagt Schneider.

Michael Ankele vom Aussteigerprojekt 21II sieht das ähnlich. Seiner Meinung nach wurde in den vergangenen Jahren noch zu wenig gegen rechts getan. Das bestätigen ihm die Szeneaussteiger, die er betreut. „Und auf so etwas reagieren die Rechten natürlich.“

Wie sind die Neonazis in Bautzen organisiert?

Über die Neonaziszene in Bautzen gibt es unterschiedliche Angaben. Klar ist nur, dass die NPD nicht allein ist. So nennt der Verfassungsschutzbericht seit Jahren die Gruppe „Sturm24“. Darin sind Rechtsextreme organisiert, die der Sturmabteilung (SA) Hitlers nacheifern wollen. „Die sitzen dann in den Hinterzimmern von Kneipen und sinieren über den Staat“, sagt Aussteigerbetreuer Michael Ankele. Danach kommt es nicht selten zu Schlägereien. Der Verfassungsschutz bemerkt in seinem Bericht, dass von der Gruppe zurzeit keine Aktionen in der Öffentlichkeit ausgehen.

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Anders ist das bei den „Nationalen Sozialisten“ und den „Freien Kräften“. Nach dem Landeskriminalamt, das in Bautzen eine Außenstelle der Sonderkomission Rechtsextremismus hat, sind diese 2010 mehrfach aufgetreten. Unter anderem bei der spontanen Demo vom Bahnhof in die Innenstadt, als sie vom gescheiterten Dresdner Aufzug am 13. Februar 2010 zurückkamen. Nach Ansicht der Experten sind die Mitglieder dieser Gruppen lose verbunden. Besonders aktiv bleiben Neonazis bei Jugendlagern. „Ausbildungslager mit Wehrsportcharakter“, nennt Sozialarbeiter Oliver Schneider sie. Manchmal wüssten die Eltern gar nicht, dass beim Feriencamp am Quizdorfer See menschenverachtende Ideen weiter getragen werden. Gefährdet sind auch Jugendclubs. Vereine schreiben Klauseln in ihre Satzungen, die es Rechtsextremen schwer machen sollen, sie zu unterwandern.

Wie stehen die Neonzazis der Kameradschaften zur NPD?

 

Zwischen der NPD und den freien Gruppen gibt es Überschneidungen. So wird von Grillpartys berichtet, die beide gemeinsam feiern. Der Verfassungsschutz schreibt von Neonazis, die in der Kameradschaftsszene aktiv sind und die NPD gleichzeitig bei Wahlen unterstützen. Gerade in der Straßenszene ist die Partei allerdings verpönt. „Die sagen dann, dass nicht mehr gequatscht werden soll, sondern dass man handeln muss“, sagt Michael Ankele. Kommentare, die Neonazis zu dem Video des Bautzener Fackelumzug geschrieben haben, gehen in eine ähnliche Richtung.Sie gelten als Bonzen.

Wie hat sich die Szene in den letzten Jahren verändert?

An Springerstiefeln, Glatze und Bomberjacke sind Neonazis schon lange nicht mehr zu erkennen. Im Gegenteil: Das, was sie tragen, unterscheidet sich nicht mehr wesentlich von der Kleidung der Linksextremen. Eine Marke, die besonders oft getragen wird, ist Thor Steinar. Im Bautzener Steinhaus sind Jacken, Pullover und ähnliches mit dem Emblem inzwischen verboten. Der Trägerverbund hat darauf gedrängt, dass die Marke im Kornmarktcenter nicht mehr verkauft wird. „Wer die Klamotten trotzdem trägt, macht das bewusst“, sagt Sozialarbeiter Oliver Schneider. Im Straßenbild sind außerdem Aufkleber der rechtsextremen Szene präsent.

Auch er ist ein Zeichen für Rechtsextreme. Insgesamt gilt jedoch: Neonazis sind immer schwerer erkennbar. „Man will akzeptiert werden“, sagt Michael Ankele. Deshalb heben sich die Neonazis kaum noch ab. Die Straftaten mit rechtsextremen Hitnergrund bleiben im wesentlich auf dem gleichen Niveau. Aufkleber an Ampelpfosten, wie an der Vogelkreuzung in Bautzen, verbreiten keine offensichtlich rechtsextremen Parolen mehr.Wer auf die Internetseite klickt, bekommt allerdings die menschenverachtende Ideologie serviert, sagt die Steinhaus-Sozialarbeiterin Manja Richter. Wie sich die Neonazis verändert haben, zeigt auch die Form der Kundgebungen. Immer seltener werden sie angemeldet. Damit verhindern die Neonazis, dass die Polizei vorbereitet ist und Gegendemonstranten schon warten. Denn gerade in dieser Hinsicht ist Bautzen sehr wach, sagt Steinhaus-Sozialarbeiterin Manja Richter. Als 2009 der NPD-Chef Holger Apfel vor dem Rathaus sprechen wollte, wurde er von vielen Bautzenern mit Pfiffen, Trommeln und lauter Musik empfangen. „Da hat man deutlich gezeigt, dass man Leute wie ihn hier nicht haben will“, sagt Manja Richter.